Rezensionen zum "Stadtplan vom alten Dresden 1939"
DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN,

7. Dezember 2020

Rezension von Herrn
Christian Ruf


Sag mir, wo die Namen sind...

Im Sonnenblumen-Verlag sind Dresdner Stadtpläne von 1930 und 1939 erschienen. Der Vergleich offenbart auch die Veränderung von Straßennamen.

Je unfreundlicher die Städte wurden, je mehr alte Stadtstrukturen verschwanden, um so mehr hingen und hängen viele im Land Träumen vom Vergangenen nach. Was macht es insbesondere den Einwohnern im Krieg zerstörter Städte oft für eine (manchmal mit Wehmut verbundene) Freude, mit dem Finger über alte Stadtpläne zu streifen, dieses und jenes aus der Erinnerung zurückzurufen. Wer durch das heutige Dresden wandert, die banalen Platten des Sozialismus und die nicht minder einfallslosen monolithischen Investoren-Klötze in Kauf nehmen muss, kann sich kaum vorstellen, welchen faszinierenden Charme das alte Dresden aufwies und sich noch keiner bemüßigt sehen musste, „Make Dresden schön again“ zu fordern. Handys und Navis mögen den guten alten Stadtplan „kannibalisiert“ und dafür gesorgt haben, dass Stadtpläne im 21. Jahrhundert etwas Verstaubtes, überflüssiges an sich haben, aber alte Karten von anno dazumal laden doch zum Träumen ein.

Interessant ist auf alle Fälle auch, wie sich Namen von Straßen und Plätzen immer wieder mal wandeln konnten. Wer 1930 am Carola-Platz stand, ging, wenn er sich rechts hielt, durch die Arminstraße und einen Teil der Wasserstraße, um zum Kurfürsten-Platz zu gelangen. Neun Jahre und einen Regimewechsel später trug der einstige Kurfürsten-Platz den Namen Skagerrak-Platz und aus der Wasserstraße war das Admiral-Scher-Ufer geworden. Statt Theaterplatz und Terrassenufer wies Sachsens Landeshauptstadt im Dritten Reich einen Adolf-Hitler-Platz und ein Ludendorffufer auf, hatte der Ebertplatz dem Crispi-Platz weichen müssen. Eine Würdigung des Sozialdemokraten und Reichspräsidenten Ebert im Stadtbild? Ging Nazis ebenso gegen den Strich wie heutigen Akteuren der Cancel Culture eine Arndtstraße oder eine Jahnallee.

Nicht alle Namen, die heute, wenn es sie noch gäbe, zur Debatte stünden, sind allerdings den Nationalsozialisten geschuldet. Der Waldersee-Platz, benannt nach Alfred von Waldersee, der um 1900 als Oberbefehlshaber eines multinationalen Truppenkontingents zur Niederschlagung des Boxeraufstands nach China entsandt worden war, hieß schon 1930 so, ebenso das Hindenburg-Ufer, war Paul von Hindenburg doch nicht nur als einstiger Heros des Ersten Weltkrieges, sondern auch als Reichspräsident der Weimarer Republik ungemein populär. Auch sonst wäre zu überlegen, ob die Initiative für Würdigung eines Helden des Ersten Weltkriegs, die sich im Stadtplan von 1939 niederschlägt, nicht bereits vor 1933 erfolgte.

Die Stadtpläne von 1930 und 1939, die für diesen Vergleich herangezogen wurden, sind nun als Reprint in zweiter Auflage beziehungsweise ganz neu im Sonnenblumen-Verlag Dresden erschienen. Beim ersten handelt es sich um den Nachdruck eines historischen Stadtplanes des ehemaligen Dresdner Verlages C. C. Meinhold & Söhne Dresden, beim zweiten um das Faksimile eines historischen Stadtplanes der ehemaligen Dr.-Güntzschen Stiftung Dresden. Beiden Reprints wurden ein historischer Einführungstext und Angaben zu Nutzungsmöglichkeiten des Stadtplanes beigefügt, wobei es jetzt nicht darum geht, mit diesen Plänen sich auf SightseeingTour zu begeben, sondern der Plan kann in der Tat – da wird nicht zu viel versprochen – eine „wichtige und wertvolle Ergänzung beim Studium von Literatur und anderen historischen Quellen“, etwa Tagebüchern, Briefen und Reichsberichten, über das alte Dresden sein. Der Stadtplan von 1930 ist im Mßstab 1:15 000 gehalten, weist eine Größe von 84 mal 69 Zentimetern auf und kostet 10,80 Euro (ISBN: 978-3-9811501-2-4). Für die Straßenkarte von 1939 im Maßstab 1:20 000 sind 11,80 Euro zu berappen (ISBN: 978-3-9811501-48). Mit 124,5 mal 92,5 Zentimetern ist diese im übrigen die größte Karte aller Stadtpläne-Reprintausgaben des Sonnenblumen-Verlags.

Nun ist es ja mit Stadtplänen oft wie mit Beipackzetteln. Einmal aufgeblättert, ist es häufig unmöglich, sie ohne falsche Knicks oder Wutanfälle zurück in die ursprüngliche Form zu falten – hier hat man den Bogen schnell raus. Internet www.altdresden.de



„Stadtplan vom alten Dresden 1939“, SonnenblumenVerlag, 11.80 Euro in ausgewählten Buchhandlungen und Geschäften.

Zeitungsausschnitt Dresdner Stadtteilzeitung/Rezension zum Stadtplan vom alten Dresden um 1935
SÄCHSISCHE ZEITUNG, 19./20.07. 2014
-Dresdner Geschichte-

Dresdens Straßen im Jahr 1939

Für Dresdenliebhaber hat der Sonnenblumen-Verlag sein Angebot um einen weiteren Stadtplan vom alten Dresden als gefaltete Reprintausgabe bereichert. Der „Stadtplan vom alten Dresden 1939“ in einem Maßstab von 1 : 20000 besitzt außer der großen, deshalb zweigeteilt herausgegebenen Karte von Dresden, auch eine vergrößerte Nebenkarte vom Stadtzentrum. Die farbige Karte mit Straßenverzeichnis ist für eine Neuveröffentlichung grafisch gut nach- und neubearbeitet worden.

Ergänzt wird der Plan mit zeitauthentischen Bildern und einem der Epoche angemessenen geschichtlichen Begleittext, der die NS-Zeit kritisch beleuchtet. Abgerundet wird das Gesamterscheinungsbild auf dem Titel mit einem historischen Stadtwappen von Dresden, das 1939 gültig war. Am Schluss des Begleittextes gibt es außerdem Hinweise zur Verwendung und Benutzung der historischen Karte. (SZ)

„Stadtplan vom alten Dresden 1939“, SonnenblumenVerlag, 11.80 Euro in ausgewählten Buchhandlungen

DRESDNER NEUESTEN NACHRICHTEN,

25. August 2014

Rezension von Herrn
Christian Ruf


Namen sind oft mehr als Schall und Rauch

Reprint eines Dresdner Stadtplans von 1939 offenbart auch die Umbenennung von Straßen im NS-Staat

Rudolstadt, Residenzstadt und doch tiefste thüringische Provinz, heute wie anno 1787, als ein Wanderer des Weges kommt, bezüglich des Weges allerdings ziemlich unsicher. Er ruft zu einem geöffneten Fenster hinauf um Hilfe. Eine junge hübsche Frau tritt heran und so erblicken sie einander zum ersten Male: Charlotte von Lengefeld und Friedrich Schiller, noch ohne von und bettelarm, trotz des frühen Ruhms, den ihm ;,Die Räuber" und "Kabale und Liebe" bereits beschert haben. Schiller bezweifelt den Plan von Weimar, den die holde Maid freundlich flugs für ihn entwirft. "Können Frauen denn Landkarten lesen? Bedarf es dazu nicht eines männlichen, strategischen Überblicks und Gestaltungswillens?", fragt er frech, doch das Fräulein kontert kokett wie selbstbewusst: "So wie er vor allem beim Kriegführen unerlässlich ist?" Das ist die entzückende Eingangsszene des aparten Films "Die geliebten Schwestern", der derzeit in den Kinos läuft.

Man sieht, Schiller steckte in der Bredouille, weil er keinen Stadtplan hatte, wobei es fraglich ist, ob es damals überhaupt schon einen von Rudolstadt gab. Und von Dresden? Nun, mehr als ein paar ungenaue Pläne eigentlich auch nicht. Aber im Lauf der Zeit wurden die Stadtpläne durchaus immer besser. Da wäre etwa ein Plan, der 1894 in der einstigen Kunstanstalt von Moritz Zobel erschien.

Nun ist vom in Radebeul ansässigen Sonnenblumen-Verlag Dresden der Reprint eines Stadtplans von 1939 publiziert worden. In einem Maßstab von 1: 20000 und einer Größe von 124,5 Zentimeter Breite mal 92,5 Zentimeter Höhe erschienen, besitzt die Reprint-Ausgabe außer der großen, deshalb zweigeteilt herausgegebenen Karte von Dresden auch eine nochmalige, vergrößerte Nebenkarte vom Stadtzentrum. Hinzu kommt, dass auch Freital und Radebeul laut Verlagsangaben "erstmalig auf einem historischen Stadtplan von Dresden bis Freital-Süd im Süden, Pillnitz im Osten, dem Heidefriedhof im Norden und bis Radebeul-Zitzschewig im Westen auf einer Reprintausgabe von Dresden" unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit eingezeichnet sind.

Die farbige Karte mit Straßenverzeichnis ist für eine Neuveröffentlichung auch grafisch recht überzeugend nachbearbeitet worden und dabei um einen Umschlag mit zeitauthentischen Bildern und einem der Epoche angemessenen geschichtlichen Begleittext, der die NS- Zeit angemessen kritisch reflektiert, erweitert und bereichert worden. Die Originalversion stammt aus dem ehemaligen Verlag der Dr. Güntzschen Stiftung Dresden. Abgerundet wird das Gesamterscheinungsbild auf dem Titel mit einem historischen Stadtwappen von Dresden, das 1939 gültig war. Alles dieses, das und jenes, macht diese rundrum erneut sehr gelungene Reprint-Neuproduktion für alle Kartenfreunde, Benutzer und Kenner sowie Sammler hochinteressant.

Dass Straßennamen Teil der Geschichte sind - und eben nicht nur Schall und Rauch - fällt auch bei diesem Plan auf. "Veränderungen von Straßennamen sind immer politisch motiviert", so der Historiker Michael Lemke vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Das war 1933 der Fall, das war nach 1945 so, das war nach 1989 so und hält unvermindert an. Als im November 2012 in Berlin 78 Prozent der Anwohner gegen eine Umbenennung der Treitschke-Straße stimmten (Heinrich von Treitschke galt als Antisemit), waren viele erbost.

Auch der Dresden-Plan des Jahres 1939 führt vor Augen, dass die einstig Gauhauptstadt einen Kaiser-Wilhelm- Platz (heute: Palais Platz) oder etwa eine Kaiser-Allee (heute: Mendelssohnallee) hatte, das Carusufer einst Admiral-Scheer-Ufer hieß. Wer heute die Strecke Theaterplatz-Terrassenufer-Käthe-Kollwitz-Ufer abläuft, hat dies im Dritten Reich auf Adolf-Hitler-Platz, Ludendorffufer und Hindenburgufer getan. Die Schamhorstschule ist mittlerweile die 32. Mittelschule, in Prohlis ist noch ein Schloss verzeichnet, in Bühlau ein Platz der SA. Auch sonst wurden beflissen NS -"Größen" gehuldigt. Der zum "Märtyrer der Bewegung" stilisierte SA-Sturmführer Horst WesseI wurde in Meußlitz mit einem Straßennamen bedacht, ebenso Joseph Goebbels, der Minister für Volks aufklärung und Propaganda. Sachsens Gauleiter Martin Mutschmann wurde in Radebeul mit einer Straße geehrt, die nahtlos in die Adolf-Hitler-Straße überging. Dem Namen des "Führers" entkam man nicht. Außer Radebeul hatten etwa auch Zschachwitz oder Niedersedlitz - damals noch eigenständige Gemeinden - Adolf-Hitler-Straßen. DNN


„Stadtplan vom alten Dresden 1939“, SonnenblumenVerlag, 11.80 Euro in ausgewählten Buchhandlungen und Geschäften.

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